Ein engagiertes Komitee verwirklicht ein einzigartiges Erinnerungsprojekt
Zehn Jahre arbeitete das Mauthausen Komitee Steyr an dem Projekt „STOLLEN DER ERINNERUNG“. Eine Gruppe von Ehrenamtlichen brachte etwas zustande, was nur wenige für möglich hielten. Trotz vielfältiger Hindernisse und Wirtschaftskrise konnte das Projekt letztendlich verwirklicht werden.
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Zur Vorgeschichte:
1988 existierte noch die letzte erhaltene Baracke des KZ-Nebenlagers Steyr-Münichholz. Das Grundstück war allerdings in Privatbesitz. Das damals neu gegründete Mauthausen Komitee Steyr plante, die Baracke unter Denkmalschutz stellen zu lassen und dort eine Gedenkstätte einzurichten. Doch bevor dies geschehen konnte, ließ der Besitzer die Baracke 1993 illegal abreißen.
Das Komitee verfolgte jedoch die Idee einer Ausstellung über das KZ Steyr weiter. 1998 wurde auf Initiative des Komitees im Museum Arbeitswelt Steyr die „Zeitwerkstatt“ eröffnet. Dabei überreichten ehemalige Häftlinge aus Frankreich Zeichnungen und Originalgegenstände aus dem KZ Steyr. Die „Zeitwerkstatt“ konnte bis 2002 vielerlei Aktivitäten zu den Themen Erinnern, Gedenken und Zivilcourage entfalten.
Anfang 2003 entstand die Idee im Stadtzentrum unter dem Schloss Lamberg in einer Stollenanlage eine Ausstellung über KZ und Zwangsarbeit in Steyr zu errichten. Für den Ort sprachen mehrere Gründe: Die 140 Meter lange, hufeisenförmige Stollenanlage verfügt über einen unmittelbaren Konnex zum KZ Steyr. Sie wurde von KZ-Häftlingen gebaut und sollte als Luftschutzbunker für die Zivilbevölkerung dienen. An diesem Ort wird deutlich, dass die KZ-Häftlinge mitten in der Stadt arbeiteten und nicht irgendwo in einem abgeschlossenen Ghetto oder KZ. Schließlich verdeutlicht der Luftschutzbunker, dass das Regime des Nationalsozialismus unweigerlich zu Krieg führte. Die Ausstellung in der unterirdischen Stollenanlage macht die Kälte der unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen spürbar und rückt dabei die Perspektive der ZwangsarbeiterInnen und KZ-Häftlinge in den Mittelpunkt.
Zur Geschichte:
Die Steyr-Werke (SDPAG) waren eine der ersten Industrieunternehmungen, die KZ-Häftlinge für die Rüstungsproduktion eingesetzt hatten. Ab dem Frühjahr 1941 wurden Häftlinge aus dem KZ Mauthausen zu den Baustellen der SDPAG gebracht. Das KZ-Nebenlager Steyr-Münichholz bestand von 14. März 1942 bis 5. Mai 1945. „Außer den Spaniern befanden sich dort größere Gruppen sowjetischer, polnischer, jugoslawischer und französischer Bürger.“1 Ab Herbst 1944 waren auch jüdische Häftlinge im Lager. Die Anzahl der Gefangenen schwankte zwischen 1000 und 2000. Mitte April 1945 stieg die Zahl aufgrund der Evakuierungsmärsche kurzfristig auf 3091. Die Häftlinge waren beim Bau von Fabrikanlagen, in der Produktion von Flugmotoren und Wälzlagern eingesetzt, aber auch bei Straßenarbeiten, dem Bau von Luftschutzstollen und bei Aufräumarbeiten nach den Bombenangriffen. Genaue Opferzahlen sind nicht bekannt. Bertrand Perz spricht von mindestens 295 Todesopfern2, im Veraschungsbuch der Städtischen Bestattung sind 226 Namen zu finden.3
Zur Rüstungsproduktion wurden zusätzlich noch tausende ZwangsarbeiterInnen aus den verschiedensten Ländern Europas herangezogen, die in mehreren Lagern untergebracht waren. Ihr Schicksal ist bis heute in Steyr noch viel zuwenig erforscht. Steyr-Münichholz wurde daher auch als „Stadt der Lager“4 bezeichnet.
In den letzten 20 Jahren konnte das Mauthausen Komitee Steyr eine umfangreiche Materialsammlung über KZ- und Zwangsarbeit in Steyr anlegen. Darunter befindet sich der Bericht des Schindlerjuden Harry Freundlich als auch der Bericht des ukrainischen Häftlings Wladimir Maximowitsch Berimez. 2001 ließ das Komitee die Videodokumentation „Das KZ-Nebenlager Steyr-Münichholz. Zwangsarbeit für die Steyr-Werke“ erstellen.5 2003 führte eine Forschungsreise in das Bundesarchiv Ludwigsburg, wo umfangreiche Dokumente über Täter recherchiert wurden. Eine Reihe von ehemaligen Zwangsarbeitern aus Polen, der Ukraine, Australien, den USA und Frankreich schickten Berichte und Originalfotos über ihre Zeit in Steyr. Die ehrenamtlichen und engagierten Vorarbeiten des Komitees waren für die inhaltliche Gestaltung der Ausstellung ein wesentliches Fundament.
Für die Realisierung des Projektes mussten noch viele Voraussetzungen geklärt werden. Überzeugungsarbeit wurde bei Politikern, Beamten und Sponsoren geleistet, um sie vom Sinn dieses Projektes zu überzeugen. Verzögert wurde das Vorhaben plötzlich durch die Entdeckung von geschützten Fledermäusen in der Stollenanlage. 2007 konnte eine Ausnahmeregelung vom Naturschutzgesetz erreicht werden nachdem die Naturschutz-abteilung der oberösterreichischen. Landesregierung ein positives Gutachten erstellt hatte. In einem Bescheid des Magistrats Steyr wurde dem Komitee schließlich „die Ausnahmebewilligung erteilt, im Luftschutzstollen unter dem Schloss Lamberg in Steyr [….] eine Ausstellung über “KZ und Zwangsarbeit in Steyr“ zu errichten.6 Als Kooperationspartner für die pädagogische Vermittlung der Ausstellung konnte das Museum Arbeitswelt gewonnen werden.
Dank des unermüdlichen Einsatzes und des ehrenamtlichen Engagements des Mauthausen Komitees Steyr wird in der Stollenanlage unter dem Schloss Lamberg ab Oktober 2013 die Ausstellung „Stollen der Erinnerung“ zu sehen sein.
Beginnend mit der Wirtschaftskriseund Arbeitslosigkeit der 1930er Jahre, dem Erstarken des Nationalsozialismus, dem „Anschluss“ 1938 und dem Ausbau der Steyr-Werke zu einem großen Rüstungskonzern bildet der Einsatz von ZwangsarbeiterInnen und KZ-Häftlingen aus vielen europäischen Ländern den Schwerpunkt der Ausstellung. Deren Schicksal wird den BesucherInnen anhand von Fotos, Dokumenten, Zeichnungen, Originalgegenständen und ZeitzeugInnenberichten anschaulich vermittelt. Die KZ-Häftlinge waren nicht nur in den Steyr-Werken eingesetzt, sie mussten auch zahlreiche Luftschutzstollen für die Zivilbevölkerung in Steyr errichten, einer davon ist Schauplatz der Ausstellung.
Weitere Themen: Die Verbrennung von 4.500 Häftlingsleichen im Krematorium Steyr – Der Todesmarsch der ungarischen Juden – Die Befreiung am 5. Mai 1945 – Die Täter – Erinnerung nach 1945 – Der Widerstand – Menschenwürde.
Zur Gestaltung
Ausstellungsgestalter Architekt Bernhard Denkinger (Wien) platzierte im räumlichen und inhaltlichen Zentrum der Schau zwölf Leuchtinstallationen. Über den neu gestalteten bogenförmigen Zugang führt eine Kette gläserner Lichtstelen in die Tiefe der Stollenanlage.
Idee: Karl Ramsmaier
Konzeptionelle und wissenschaftliche Beratung: Bertrand Perz
Wissenschaftliche Kuratorin: Regina Wonisch
KuratorInnen Mauthausen Komitee Steyr: Karl Ramsmaier, Waltraud Neuhauser, Katrin Auer, Martin Hagmayr (Bereich „Täter“), Markus Rachbauer (Bereich „Widerstand“)
Gestaltung: Bernhard Denkinger
Sponsoren: Land Oberösterreich, Nationalfonds der Republik Österreich, Bundesministerium für Inneres, Zukunftsfonds der Republik Österreich, Stadt Steyr, Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, SKF Österreich AG, BMW Motoren GesmbH, MAN Truck & Bus Österreich AG, SLR Gußwerk II BetriebsgesellschaftmbH, ZF Steyr, PRO-GE Sozialdemokratischer Bildungs- und Unterstützungsverein (SBV), Mauthausen Komitee Österreich, Österreichische Nationalbank, Ennskraft, Lions Club Steyr, Wirtschaftskammer Österreich, Foto Grünwald
Eröffnung:
Freitag, 25.Oktober 2013 um 18:00 Uhr
Museum Arbeitswelt Steyr
Programm und weitere Informationen zur Eröffnung finden Sie hier!
1 Florian Freund/ Bertrand Perz, Konzentrationslager in Oberösterreich 1938-1945, 118
2 eda. 120
3 Ein Veraschungsbuch ging allerdings nach dem Krieg verloren.
4 Karl-Heinz Rauscher, Steyr im Nationalsozialismus. Politische, militärische und soziale Strukturen, 164-165
5 Ruth Gutermann, Brita Pohl, Leonhard Weidinger, „Das KZ-Nebenlager Steyr-Münichholz. Zwangsarbeit für die Steyr-Werke“, 38 min
6 Bescheid des Magistrates Steyr, 16.07.2007